VOM STRAFRICHTER ZUM KRIMIAUTOR
Harald Kiwull (77) aus Waldbronn war viele Jahre Strafrichte in
Karlsruhe und fing nach seiner Pensionierung an, Krimis zu schreiben. Sein Protagonist Maximilian Knall geht demselben Beruf nach, allerdings ermittelt er gelegentlich auf recht unrichterliche Weise.
Verarbeiten Sie in Ihren Büchern Geschichten, die Sie als Richter
gehört haben, Herr Kiwull?
Vieles fließt aus der Zeit ein. Ich war zuvor Zivilrichter, da verhandelt man meist trockene Materie. Als ich dann zum Strafrecht wechselte, war ich fasziniert: Da tobt das Leben, es wird gelogen und geweint, manchmal ist es Dramatik pur. Aber ich musste auch schlimme Sachen verhandeln, daran will ich heute nicht rühren. Die Morde in den Krimis werden immer brutaler – zu dieser Verschmutzung in den Köpfen will ich nicht beitragen, sondern auf andere Weise Spannung erzeugen. Die Menschen sollen auch abends im Bett noch ein Kapitel lesen und trotzdem gut schlafen können.
Ist es Ihnen denn als Richter immer gelungen, gut zu schlafen?
Man ist Herr des Verfahrens – eine große Aufgabe mit riesiger Verantwortung, die einen auch quälen kann. Wenn man fest davon überzeugt ist, dass der Verurteilte der Täter ist, fällt es leichter. Schwierig wird es, wenn nach einem Freispruch noch Zweifel bestehen. Man zermartert sich den Kopf und fragt sich, was man noch hätte tun können, um die Wahrheit herauszufinden. Ich bin froh, dass ich es nicht mehr tun muss.
Wann haben Sie angefangen zu schreiben?
Nach meiner Pensionierung habe ich überlegt, was ich machen könnte. Sie müssen wissen: Juristen sind ja bei ihrer Arbeit sachlich
agierende Herrschaften. Sie müssen ihren Verstand nutzen, während Fantasie und Emotionen bei Entscheidungen im Gerichtssaal fehl am Platz sind. Zum Ausgleich habe ich mir immer andere Aufgaben gesucht. Zum einen war ich Referent für Bewährungshilfe und hatte viel mit einfühlsamen, kreativen Sozialarbeitern zu tun. Außerdem habe ich 20 Jahre lang Ausstellungen am Karlsruher Landgericht organisiert und dazu über hundert Künstler in ihren Ateliers besucht. Diese Menschen kennenzulernen war großartig.
Was gab den Ausschlag fürs Schreiben?
Mit meinem Freund Wolfgang Blanke, der Künstler ist und auch die
Illustrationen zu meinen Büchern gemacht hat, war ich segeln. Was ich darüber anschließend für seinen Blog geschrieben habe, fand er gut, und er riet mir, das weiterzuverfolgen. So habe ich mich hingesetzt, losgeschrieben – und erkannt, dass man keine Angst vor dem Anfang haben sollte. Man muss auch kein ganzes Gebilde im Kopf haben, sondern kann einfach schauen, wohin einen die Phantasie trägt. Das ist sehr beglückend! In meinen Lesungen habe ich oft Zuhörer, die erzählen, dass sie gerne schreiben würden, aber meinen, sie müssten die komplette Geschichte bis zum Ende durchdacht haben. Denen rate ich: Schreibt noch heute Abend den ersten Satz, morgen den zweiten und womöglich könnt ihr nach einem Jahr „Ende“ unter euren Roman
setzen.
Erinnern Sie sich an den Moment, als Sie den ersten Krimi fertig hatten?
Ja, das war ein unglaubliches Gefühl. Meine Frau hat das Manuskript
als erste gelesen. Sie hat es zwar gelobt, aber auch vermisst, dass sie
selbst nicht auftaucht. Deshalb habe ich ihr versprochen, bei jeder Lesung für sie ein Liebeslied zur Gitarre zu singen – und das mache ich auch.
In Ihren Büchern bestehen viele Parallelen zu Ihrem und Maximilian Knalls Leben. Warum haben Sie auf die Ehefrau verzichtet?
Das gibt mehr Freiheit beim Schreiben. Ich bin überzeugt, dass es für
die Leser interessanter ist, wenn der Knall auch mal verliebt ist und im Buch Frauenbeziehungen vorkommen. Weshalb schreiben Sie eigentlich in Ich-Form? Das macht es manchmal komplizierter, weil der Erzähler alles selbst erleben muss und man keine Parallelgeschichten erzählen kann. Ich liebe aber Bücher, die in Ich-Form verfasst sind, weil ich mich besser in den Protagonisten reindenken kann. Und das wünsche ich mir: Dass die Leser Maximilian Knall wie einen Freund auf seinem Weg begleiten können. Das ist er übrigens auch für mich geworden.
Wie meinen Sie das?
Wenn ich schreibe, weiß ich oft nicht, wie es weitergeht. Wenn ich
dann beispielsweise im Sommer Schwimmen gehe, dann fängt Knall
in meinem Kopf an zu fantasieren. Der Protagonist gewinnt ein Eigenleben: Er begleitet mich und fängt an, mir Gedanken für das Buch einzuflüstern.
Wenn Maximilian Knall zum Freund wird, wecken Sie auch Verständnis dafür, dass er die Grenzen der Legalität überschreitet und zum Beispiel einbricht, um etwas rauszukriegen. Sehen Sie als Richter keine Gefahr darin?
Doch, aber ich wollte keinen langweiligen Standardrichter, sondern
einen, der aus dem Rahmen fällt und Kanten hat. Ich greife das Thema aber in meinem vierten Buch auf, an dem ich gerade schreibe: Darin
gerät Knall genau aus dem Grund in große Probleme.
In Ihren Büchern spielen etliche Szenen in Karlsruhe, in Ettlin-
gen und im Albtal. Gibt’s für alle Schauplätze eine reale Vorlage?
Manches habe ich verlegt, zum Beispiel eine Kneipe aus Waldbronn
nach Karlsruhe. Auch das Hotel in Ettlingen mit den Dachgeschosszimmern, in dem Knall eine Zeitlang wohnt, existiert: Darin bin ich selbst für eine Weile untergekommen. Zwar gab es damals auch kuriose Dauermieter, aber eine Prostituierte, wie im Buch von mir beschrieben, war nicht dabei. Haben Sie denn einen Lieblings-platz im Albtal? In meinem dritten Buch beschreibe ich, wie Knall im „König von Preußen“ einkehrt und anschließend auf dem Graf-Rhena-Weg Richtung Bad Herrenalb wandert. Das ist für mich tatsächlich ein herrlicher Platz: Wenn man dort vor dem Lokal sitzt und auf die Ruine Frauenalb blickt. Auch Bad Herrenalb wird oft unterschätzt, dabei ist es ein wunderbarer Ort.
Zur Person
Harald Kiwull (77) ist in Stade in Niedersachsen aufgewachsen und kam als Student nach Freiburg. Sein halbes Berufsleben arbeitete er als Zivilrichter, bevor er Vorsitzender Strafrichter am Landgericht Karlsruhe wurde. Sein Prozess mit dem größten Medienecho, das bis ins Ausland reichte, war der „Autobahnraser-Fall“ 2004, bei dem eine
Fahrerin und ihre Tochter ums Leben kamen und ein Testfahrer verurteilt wurde. Harald Kiwull lebt mit seiner Frau in Waldbronn und verbringt seit seiner Pensionierung die Wintermonate in einem spanischen Dorf nahe Valencia. Mittlerweile hat er drei unterhaltsame Krimis veröffentlicht, die Bezug zu Karlsruhe, Ettlingen und das Albtal
haben, aber auch in Spanien spielen. Hauptperson ist Strafrichter Maximilian Knall, bei dem sich viele Parallelen zu Kiwull finden. Die Titel lauten „Die Trüffel-Connection“, „Knall 2“ und „Eine spanische Eröffnung“ (Verlag Lindemanns Bibliothek, jeweils 12,95 Euro). Zu seinem dritten Krimi gibt es mittlerweile auch ein Hörbuch, gelesen von Harald Kiwull.