WIE DAS BAUHAUS AN DIE ALB KAM
Die legendäre Kunstschule „Bauhaus“ wird 100 Jahre alt. Sie hat mit der Siedlung Dammerstock auch in Karlsruhe ihre Spuren hinterlassen.
11. September 2019
Der Dammerstock ist heute ein beliebtes Ziel von Architekturstudenten und interessierten. Man kann an den Häusern vorbeispazieren, die sich mit Flachdächern und weißen Fassaden zwischen großzügigen Grünflächen erheben. Mehrstöckige Bauten gibt es mit langen Fensterbändern. Gläserne Treppenhäuser schieben sich aus der Fassade, in anderen führen Laubengänge zu den Wohnungen. Vor schmalen, kompakten Reihenhäusern liegen ebenso schmale, teils üppig blühende Vorgärten.
Was unter der Leitung von Walter Gropius, Architekt und Gründer des Bauhauses in Weimar, hier in Karlsruhe 1929 entstanden ist, erntete seinerzeit aber auch viel Spott. „Die Siedlung wurde ‚Jammerstock‘ genannt“, sagt Gabriele Tomaschewski. Das Schwarzweißfoto aus der Zeit der Eröffnung, das die Gästeführerin zeigt, wirkt auch nicht gerade einladend: Die Häuser standen noch im kahlen Gelände. Ihre Anordnung in langen Reihen hintereinander war ungewöhnlich, normalerweise wurden in dieser Zeit Stadthäuser in Blocks errichtet. Auch die gradlinige Gestaltung, die weißen Fassaden, das schlichte Aussehen waren fremd. Dass die Wohnungen zu schnell bezogen wurden und es dadurch Probleme mit Schimmel und auch Bauschäden gab, befeuerte die Kritiker.
Die Siedlung, die schon damals über die Albtal-Bahn direkt ans Stadtzentrum angebunden war, erntete aber auch Lob und brachte den Mietern viel Gutes: Sie brauchten keine Kohlen mehr zu schleppen, weil ihre Wohnungen an einem zentralen Heizwerk hingen. Außerdem gab es ein Gemeinschaftswaschhaus, ein Entwurf des Architekten Otto Haesler: Dadurch musste keiner mehr die Wäsche zuhause waschen und über dem Herd trocknen. „Auch das Ziel, durch die Zeilenbauweise viel Licht, Luft und Großzügigkeit in die Siedlung zu bringen, ist sehr gut gelungen“, erklärt Gabriele Tomaschewski. Die 68-Jährige muss es wissen. Sie ist in diesem Stadtteil groß geworden. Als Bautechnikerin war sie außerdem bei dem Architekturbüro angestellt, das seit den 1970er-Jahren im ehemaligen Gemeinschaftswaschhaus arbeitet.
Seit sie in Rente ist, führt sie Interessierte durch die Siedlung, die als herausragendes Beispiel für die Prinzipien des „Neuen Bauens“ in der Weimarer Republik gilt. Damals entfaltete sich die künstlerische Moderne und eines ihrer Aushängeschilder war das Bauhaus, eine staatliche Hochschule für Gestaltung. Ihre Gründung vor 100 Jahren wird 2019 in ganz Deutschland gefeiert. In Karlsruhe steht dabei die DammerstockSiedlung im Mittelpunkt. Mit genau 228 Wohnungen ging sie damals an den Start: 23 verschiedene Typen in Reihenund Mehrfamilienhäusern, ausgelegt für zwei, vier und sechs Betten. Sie waren zwischen 45 und 70 Quadratmeter groß und funktionell, aber nicht üppig geschnitten. Auch das lieferte Anlass zum Spott: Der Nachttopf für den Dammerstock habe den Henkel innen, hieß es damals, weil dort alles so klein und beengt sei.
„Es waren eben sehr günstige Bauten“, sagt Gabriele Tomaschewski. Darum ging es der Stadt, in der wie vielerorts nach dem 1. Weltkrieg große Wohnungsnot herrschte. Deshalb lobte Karlsruhe einen Wettbewerb für eine „neuzeitliche Siedlung“ aus. Die Stadt holte Mies van der Rohe in die Jury, den führenden Architekten der Moderne. Außerdem gab sie vor, wie groß die Wohnungen sein und dass in Zeilen gebaut werden sollte. Namhafte Architekten aus dem Inund Ausland beteiligten sich, am Ende gewann Walter Gropius den 1. Preis und übernahm die Leitung. Drei Gebäude, darunter zwei Laubenganghäuser, entwarf er selbst, und viele weitere Preisträger setzten ihre Ideen um. Das Zauberwort hieß dabei Standardisierung. Ob Maße, Farben oder Materialien: Alles war vorgegeben. So konnte in industrialisierter Bauweise schnell und preiswert gebaut werden.
Bis heute ist der Dammerstock ein beliebtes Wohngebiet, wie die Stadtführerin erklärt. Die Wohnungen können nur gemietet werden und gehören der Baugenossenschaft Hardtwaldsiedlung und der kommunalen Baugesellschaft „Volkswohnung“. Eine Musterwohnung steht Besuchern zwar nicht offen, dafür die ehemalige Gaststätte. Otto Haesler hatte auch dieses Gebäude entworfen, dessen Gastraum im Erdgeschoss von einem langen Band aus gleichmäßigen Fenstern umgeben ist.
Vor wenigen Jahren ist hier ein Slow-Food-Restaurant namens „Erasmus“ eingezogen. Die Betreiber servieren feine Speisen und haben den Innenraum so umgestaltet, dass er, wie Gabriele Tomaschewski lobt, „dem Baustil würdig ist“.
Gut zu Wissen
Führungen durch den Dammerstock veranstaltet die Stadt Karlsruhe und auch Stattreisen Karlsruhe. Ab dem 26. oktober 2019 ist die Ausstellung „Die ganze Welt ist ein Bauhaus“ im Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe zu sehen, das 2019 selbst sein 30-jähriges Bestehen mit einem festival feiert. Außerdem hat die Stadt Karlsruhe den Dammerstock, die Schwarzwaldhalle und viele weitere Werke rund ums „neue Bauen“ zusammengestellt und plant, sie über eine digitale Architekturroute zu verbinden, mit der sie Besucher auf eigene faust erkunden können.
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