SCHREIBE WIE DIE LEUT SCHWÄTZE
Seit über 30 Jahren ist Harald Hurst mit badischer Mundart erfolgreich. Als schriftsteller und Bühnenmensch. Ein besuch in seiner Schreibwerkstatt in Ettlingen, hoch über dem Marktplatz.
10. September 2019
Ja, das gibt es noch, dass einer auch im 21. Jahrhundert mit Schreibmaschine schreibt. Auf einem kleinen Schreibtisch am Fenster steht das gute Stück, ein Blatt Papier eingespannt für sein nächstes Bühnenstück. Schriftstellerei wie in alten Zeiten, „manchmal“, sagt Harald Hurst, „schreibe ich meine Texte sogar von Hand“.
74 Jahre alt ist Harald Hurst jetzt. Ein Urgestein der Mundartdichterei. Sein wettergegerbtes Gesicht schlägt Falten, seine graue Haartolle tänzelt lustig im Lampenschein. Immer mal wieder zündet er sich eine Zigarette an, trinkt gerne ein Glas Rotwein dazu. Und erzählt aus einem Leben, das reich an Schätzen ist.
Es begann 1945 in Buchen im Odenwald. Der Geburtsort ist reiner Zufall, die Mutter stammte aus Karlsruhe und wurde zum Schutz vor den Bomben aufs Land geschickt. In Karlsruhe wächst er auf, geht aufs Gymnasium und anschließend auf hohe See. „Freddy Quinn“, sagt er mit einem Lächeln, „die Lieder von Freddy Quinn haben mich inspiriert, da wollte ich mal sehen, wie das ist.“
Es war nicht so toll wie gedacht. So kehrt er zurück, studiert in Heidelberg und Mannheim Englisch und Französisch und wird erst mal Lehrer. Es ist ein Brotjob, nicht das, was ihn wirklich erfüllt. Seine eigentliche Liebe entdeckt er ganz allmählich, indem er schreibt: erst für Zeitungen als Journalist, dann mit kleinen Geschichten im Bereich der Belletristik. Ganz am Anfang ist es Hochdeutsch, doch schon bald versucht er sich im Dialekt. Es ist keine Heimattümelei, ganz im Gegenteil sind es die auf Alemannisch veröffentlichten Texte der Liedermacher beim Protest gegen das Atomkraftwerk Fessenheim, die ihn faszinieren. Elsässische Kabarettisten wie Roger Siffer sind seine Vorbilder, „schreibe wie d‘ Leut schwätze“ wird bald zu seinem Motto.
Um 1980 bringt er sein erstes Buch heraus, dem 15 weitere folgen werden. Fast alles sind Kurzgeschichten, „für Romane habe ich keine Zeit“, sagte er lächelnd. Er findet einen Verlag und bald auch eine große Anzahl von Lesern. Die schätzen seine Bücher ebenso wie seine Theaterstücke. Sein Lieblingssujet: „Böse Liebesgeschichten ohne Happy End.“ Die rosarote Welt der Heimatromane ist nicht seine, wann immer er über sich liest, er sei ein „Heimatdichter“, dann schüttelt es ihn leicht. „Dabei habe ich gar nichts gegen Heimat“, sagt er und schaut auf den Ettlinger Marktplatz. Hier wohnt er nun schon seit über 20 Jahren, schätzt die Mischung aus großstädtischer Anbindung und kleinstädtischer Beschaulichkeit. „Provinz de luxe“ nennt er sein Ettlingen mit einem Augenzwinkern, „man darf ja auch kritisch sein gegenüber seiner Wahlheimat.“
Die Herzen der Menschen hier sind jedenfalls weit genug, „dass man auch mal öffentlich faulenzen kann“. Der Poet mit Müßiggang, der schon am frühen Nachmittag auf einer Bank oder im Café sitzt. Dabei müsste sich ein 74Jähriger nun wahrlich nicht dafür rechtfertigen, wenn er es etwas ruhiger angehen lässt.
Bis zu 120 Lesungen pro Jahr hat er zu Spitzenzeiten gemacht. „Ich erzähl halt gern und das gefällt den Leuten“, sagt er mit leichtem Understatement. Immerhin hat er mehrere Mundartpreise und sogar den ThaddäusTrollPreis eingeheimst. Der wird an Schriftsteller in BadenWürttemberg verliehen, und tatsächlich immer wieder auch an Badener, selbst wenn Troll ein Württemberger war.
Aber Harald Hurst geht ohnehin gerne über Grenzen. Die Pfälzer und die Schwaben mögen seinen Humor und verstehen ihn auch. Weder schreibt Hurst ganz derb im Dialekt noch spricht er ihn so, dass man ihn nicht verstehen kann. „Schreibe wie d‘ Leut schwätze“: In Wahrheit steckt dahinter eine Kunstform, die authentisch wirkt, ohne wirklich ein direktes Abbild der gesprochenen Sprache zu sein.
Inzwischen sind es nicht mehr ganz so viele Lesungen, die Harald Hurst macht. Noch etwa 60 Termine im Jahr stehen in seinem Kalender. Viele davon mit dem bekannten Karlsruher Musiker und Kabarettisten Gunzi Heil. Seit 20 Jahren sind die beiden ein Duo auf der Bühne, ein eingespieltes Team, das weiß, was die Menschen mögen.
In Ettlingen gehen die Menschen gerade einkaufen. Unter dem Fenster von Harald Hurst promenieren sie entlang. Zeit für Harald Hurst, noch ein wenig in die Tasten zu greifen. Das Leben und das Schreiben gehen immer weiter. Und das nun schon seit über 30 Jahren der freien Schriftstellerei. „Ein Dasein mit Vorteilen und Nachteilen“, sagt er, aber es ist Dasein, das ganz und gar seinem Naturell entspricht.
„Jeder Umweg war wichtig“, sagt er im Rückblick, „überall habe ich etwas dazu gelernt.“ Das letzte Mal übrigens von seinem Maler, der das Wohnzimmer renoviert hat. „So viele Bücher“, hatte der gesagt, und hinzugefügt, dass er selbst gar nichts lese. Daraufhin hat Harald Hurst die Hälfte seiner Bücher hinausgeworfen, ein paar Zentner, die wie eine Last von seiner Seele fielen. Seither fühlt er sich wie befreit, zündet sich eine neue Zigarette an und tippt ein paar weitere badische Zeilen in seine Schreibmaschine ein.