DAS ORCHESTER IM SCHRANK
Thilo Florl aus Ettlingen sammelt nicht nur mechanische Musikautomaten. Er hat die historischen Geräte in seiner Freizeit auch restauriert und wieder zum spielen gebracht.
23. Juli 2020
Das Konzert beginnt: Ein Klavier spielt, Pfeifen und die Schläge einer Trommel sind zu hören. Gemeinsam verbinden sie sich zu einem munteren Tanzlied – und alle Instrumente stecken in einem großen Holzschrank. „Orchestrion“ heißt so ein mechanischer Musikautomat – in diesem Fall ist es das Modell „Isola“, das die Firma Weber 1918 in Waldkirch gebaut hat. Hinter den Schranktüren arbeitet eine Mechanik aus längst vergangenen Zeiten. Ein kleiner Motor treibt die Balganlage an, die wiederum dafür sorgt, dass Klaviersaiten angeschlagen und Pfeifen geblasen werden. Ein Rädchen greift ins andere und sogar für Dekor ist gesorgt: Der Wasserfall, der hinter der Scheibe der Schranktür ins Fließen gerät, sobald die Musik einsetzt, ist auf ein bedrucktes Stoffband gemalt, das vom Automaten abgerollt wird.
Schränke wie dieser wurden vor allem zwischen 1900 und dem Zweiten Weltkrieg gebaut. Sie spielten in Lokalen zur Unterhaltung der Besucher oder auch zum Tanz. „Das waren die Vorläufer der JukeBox“, sagt Thilo Florl. Dem Elektroniker aus EttlingenBruchhausen gehört das Orchestrion, das einzige Modell dieser Serie, das weltweit überlebt hat, wie er stolz betont. Als es in seine Hände gelangte, war es nur noch ein Schrotthaufen und Würmer hatten die Holzteile zerfressen. Da es kein weiteres davon gab, konnte er nirgends nachschauen – und war bei der Restaurierung mehr als einmal vor ein Rätsel gestellt: Wie könnte das früher funktioniert haben? Warum ist hier ein Loch, was war da? Weshalb wurde der Hebel genau an der Stelle angeschraubt?
In diese Fragen vertieft sich der Mann, der gerne Weste und Baskenmütze trägt, nach Feierabend, trinkt ein Glas Wein dazu – bis er irgendwann die Lösung gefunden hat. „Für mich ist das Gehirnjogging und Entspannung zugleich“, sagt er. Aber auch nicht mehr: Diese Arbeit beruflich und unter Zeitdruck zu machen, kann er sich nicht vorstellen. Angefangen hat es mit einem kaputten Grammophon, das er als Grundschüler auseinandergeschraubt und wieder in Gang gebracht hat. „Der alte Kruscht hat mir immer schon gefallen!“, sagt er. Ihn zu bewahren, die alte Technik zu reparieren und aus einem Schrotthaufen einen funktionierenden mechanischen Musikautomaten zu machen, bereitet ihm Spaß – auch wenn er dafür in manchen Fällen mehrere hundert Stunden Arbeit investieren muss. Dass ihm das in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht nur mit einem, sondern mit mehreren Geräten gelungen ist, zeigt sich in seinen vollgestopften Lagerräumen. Da stehen Gasthaus-Orchestrions, selbstspielende Klaviere, Drehorgeln und Spieluhren – eine davon sogar mit ausgestopften Vögeln, die sich bewegen, wenn das Gezwitscher erklingt. In den Räumen sorgt Florl für eine konstante Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent, damit die Instrumente keinen Schaden nehmen.
Rund 20 große Orchestrions hat er wieder zum Laufen gebracht. Begeistert erzählt er von den verschiedenen Antriebstechniken, Materialien und davon, dass am Ende nichts mehr leiern darf. Heute gehört Thilo Florl zu den führenden Sammlern im Land. Und er hat noch längst nicht genug davon, auch wenn er im vergangenen Jahr kaum Zeit für Restaurierungsarbeiten gefunden hat. Zu viele andere Projekte fordern seine Aufmerksamkeit. Eines davon ist der Badische Hof in Ettlingen: Er hat das traditionsreiche Wirtshaus aus dem Jahr 1698 gekauft, umbauen lassen, einen neuen Pächter gesucht und nun wieder als klassisches Gasthaus mit badischer Küche eröffnet. Dabei ist er, wie bei seinen Musikinstrumenten, penibel hinter den Kleinigkeiten her: So hat er eigens dafür wieder ein Wirtshausschild nach historischem Vorbild schmieden und vergolden lassen.
Außerdem ist Thilo Florl selbständig, hat einen eigenen Elektrobetrieb und ist in seiner Freizeit auch noch Kommandant bei der historischen Bürgerwehr. Im Ettlinger Schloss ist er ebenfalls aktiv und bietet in den Wintermonaten regelmäßig Führungen durch die Sammlung mechanischer Musikinstrumente und Uhren an. Gelegentlich steht dort eine Leihgabe von ihm. So lange, bis er vielleicht eines Tages seinen Traum verwirklicht und ein eigenes Museum eröffnet, in dem er dann endlich seine vielen Musikautomaten interessierten Besuchern zugänglich machen kann.